Von Ulrich Nersinger
WÜRZBURG, 17. Januar 2009 (Die Tagespost.de/ZENIT.org).- In einem Monat wird der Vatikanstaat den 80. Jahrestag seiner Gründung begehen – am 11. Februar 1929 wurde der „Stato della Città del Vaticano” mit den Lateranverträgen ins Leben gerufen. Im Vorfeld der Feierlichkeiten wird auch über die Gesetzgebung im kleinsten souveränen Land der Erde diskutiert. Viele Gesetze, die für einen „normalen” Staat selbstverständlich sind, scheinen für den Vatikan auf den ersten Blick obsolet zu sein. Doch dieser Eindruck täuscht. Die Geschichte lehrt, dass sogar Bestimmungen, über die man zu schmunzeln geneigt ist, in besonderen Situationen ungeahnt an Bedeutung gewinnen können.
Während des Zweiten Weltkrieges war der Vatikan mit großem Engagement bemüht, die Leiden der Bevölkerung in den verschiedensten Ländern zu lindern, sei es durch diplomatische Interventionen, mit beträchtlichen Geldmitteln oder durch die Versorgung mit Medikamenten und Lebensmitteln. Vielen der in dieser Richtung unternommenen päpstlichen Bemühungen standen enorme Schwierigkeiten und Behinderungen entgegen. So waren die Lastwagenkolonnen des Vatikans, die in der Zeit der deutschen Besatzung Roms die Bevölkerung der Ewigen Stadt mit Lebensmittellieferungen aus allen Teilen Italiens versorgten, Überfällen, Beschlagnahmungen und sogar Bombardements ausgesetzt.
Von Frankreich aus wurde ein ungewöhnliches Ersuchen an den Vatikan herangetragen. Am 7. März 1942 war Monsignore Valerio Valeri, der Apostolische Nuntius in Frankreich, zu Marschall Pétain gebeten worden, der ihm zwei Dokumente übergab: den Entwurf eines Briefes an den Papst sowie eine erläuternde Note. In dem Schreiben an Pius XII. schlug Pètain die Bildung einer vatikanischen Flotte vor, für die er dem Pontifex Schiffe zur Verfügung stellen wollte. Der Marschall wünschte, „dass diese neutrale Flotte vom amerikanischen Kontinent, unter einer weltweit geehrten Flagge, Lebensmittel und Medikamente holt, derer man in Europa so sehr bedarf”. In der Note, die dem Entwurf beigefügt war, erklärte Pétain, er sei deshalb auf die Idee gekommen, „weil allein der Vatikan, ein neutraler und verehrter Staat, solche Transporte durchführen könne, die keine der kriegsführenden Mächte völlig abzulehnen wage”.
Der Marschall hatte seinen Entwurf dem Nuntius mit der Frage übergeben, ob es ratsam sei, einen offiziellen Brief an Pius XII. zu senden. Der Nuntius riet davon ab, erklärte sich aber bereit, über das Ansuchen des Vichy-Regimes das Päpstliche Staatssekretariat zu informieren. Am 24. März befasste sich Monsignore Domenico Tardini, der damalige „Außenminister” des Vatikans, mit der Angelegenheit. Bei der Abfassung des Berichtes, den Tardini Kardinalstaatssekretär Luigi Maglione vorzulegen hatte, erlaubte er sich scherzhaft die Anmerkung: „Im Falle einer positiven Antwort könnte man: 1. Einen Wettbewerb für den Posten des Admirals ausschreiben. 2. Einen Artikel für den ,Osservatore Romano‘ vorbereiten: ,Vom Fischerboot des heiligen Petrus zur vatikanischen Flotte‘”. Tardini strich jedoch dann seine Worte mit Bleistift durch und hob das Ansuchen Pétains als an sich lobenswert und als eine besondere Wertschätzung des Heiligen Stuhls hervor.
Die offizielle Antwort, die Kardinalstaatssekretär Maglione dem Apostolischen Nuntius in Frankreich zukommen ließ, fiel im Grunde nicht negativ aus, musste sich jedoch aktuellen Gegebenheiten beugen. Der Kardinal dankte Marschall Pétain für das in den Vatikan gesetzte Vertrauen und gab dann in seinem Schreiben eine genaue Schilderung der vom Heiligen Stuhl unternommenen Bemühungen, dem durch eine Blockade ausgehungerten Griechenland zu helfen. Bei dieser Hilfsaktion hatte sich der Vatikan nicht nur verbalen Drohungen ausgesetzt gesehen, man hatte sogar Gewaltakte gegen den neutralen Helfer vorgenommen.
Es waren aber nicht in erster Linie die zeitpolitischen, militärischen Gegebenheiten, die einen Einsatz von Schiffen unter der Flagge des Papstes unmöglich machten, sondern vielmehr völkerrechtliche. Seit den Lateranverträgen (1929), die zur Gründung des souveränen Vatikanstaates geführt hatten, war es dem Vatikan zwar prinzipiell wieder möglich, Schiffe unter seinen Hoheitszeichen die Weltmeere befahren zu lassen, doch um in den Genuss dieser Rechte zu kommen, hätte der Vatikanstaat laut Völkerrecht (Konvention von Barcelona, 20. April 1921) ein Schifffahrtsregister auf eigenem Territorium an einem Ort, der gewissermaßen den „Heimathafen” darstellte, besitzen und die Bekanntmachung dieses Registers den Unterzeichnern der Konvention von Barcelona mitteilen müssen.
Der Papst selber erinnerte sich später daran, dass sein Bruder (der Konsistorialadvokat Francesco Pacelli), der an der Ausarbeitung und Umsetzung der Lateranverträge maßgeblich beteiligt war, mit ihm im familiären Rahmen über Schiffe unter vatikanischer Flagge gesprochen hatte. Pius XII. behielt den Vorschlag Pétains im Gedächtnis. Schon kurz nach dem Krieg beauftragte er die Päpstliche Kommission für den Staat der Vatikanstadt und die „Consulta dello Stato” (Staatskonsult), die rechtlichen Voraussetzungen für einen solchen Schritt einzuleiten. Am 15. September 1951 erließ die Päpstliche Kommission für den Staat der Vatikanstadt ein Dekret über die Meeresschifffahrt unter der Flagge des Vatikanstaates („Decreto N. LXVII della Pontificia Commissione per lo Stato della Città del Vaticano concernente la navigazione marittima sotto la bandiera dello Stato della Città del Vaticano”).
Die Verwaltung der „päpstlichen Schifffahrt” erfolgt seitdem in einem Büro des Governatorates des Vatikanstaates, das damit den „Heimathafen” darstellt. Dort wird das „Registro Navale Vaticano” (Vatikanische Schifffahrtsregister) geführt, in das die Schiffe des Staates, aber auch die eventueller privater Reeder, eingetragen werden. Die Schiffe haben einen von der Päpstlichen Kommission genehmigten Namen zu tragen, der an Bug und Heck, gefolgt von dem Schriftzug „Città del Vaticano”, stehen muss. Sie müssen sich ferner der vatikanischen Fahne in den Farben Gelb und Weiß bedienen; die Staatsschiffe haben außerdem das offizielle Staatswappen zu tragen. Das Dekret der Päpstlichen Kommission regelt in 31 Artikeln die verschiedensten Aspekte einer möglichen vatikanischen Schifffahrt; es stellt Normen für den Kapitän, den Schiffskaplan und die Besatzung auf, legt die Bestimmungen für die Führung des Schiffes dar und behandelt ausführlich die auf See möglichen Strafrechtsumstände, die der vatikanischen Gerichtsbarkeit unterliegen.
Von Februar bis April 1958 fand in Genf (Schweiz) eine Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen statt. Das dort formulierte Protokoll über die obligatorische Beilegung von maritimen Streitigkeiten unterschrieb der Vatikanstaat am 30. April 1958. Auch bei den nachfolgenden Konferenzen, die das Internationale Seerecht betrafen, waren die diplomatischen Vertreter des Vatikans präsent. Papst Paul VI. behielt die Möglichkeit, aus humanitären Gründen Schiffe unter seiner Flagge fahren zu lassen, im Auge. Im Nahostkonflikt, besonders nach der Besetzung des Südlibanons (März 1978), hatte der Papst ein solches Unternehmen ernsthaft erwogen und erste Schritte zur einer Realisierung einleiten lassen, dann jedoch – aus welchen Gründen auch immer – wieder Abstand davon genommen.
Wer im Governatorat des Vatikanstaates nachfragt, ob im dortigen Schifffahrtsregister ein Eintrag vermerkt sei, erhält ein klares „Nein” zur Antwort. Aber er wird auch darauf hingewiesen, dass die Zeiten es als nicht völlig abwegig erscheinen lassen, dass man auf den Meeren irgendwann einmal Schiffe antreffen wird, die aus humanitären Gründen unter der gelbweißen Flagge des Vatikans fahren.
[© Die Tagespost vom 13. Januar 2009]