„Jeder hat die Bilder im Fernsehen gesehen, aber es ist immer noch ein Schock, wenn Sie die Flüchtlingskrise aus erster Hand erleben“, sagt der philippinische Kardinal Louis Antonio Tagle. Der Präsident von Caritas Internationalis hat im griechischen Idomeni während einer Pause der römischen Bischofssynode ein Durchgangslager für Migranten und Flüchtlinge besucht, das sich an der Grenze zu Mazedonien befindet.
„Sie sehen die Verwirrung, die Müdigkeit und die Angst in ihren Gesichtern“, sagte Kardinal Tagle, Erzbischof von Manila. „Viele kommen, weil sie auf der Flucht sind vor Kriegen, die sie nicht begonnen haben und die sie nicht verstehen. Sicherlich können wir mehr für sie tun. Sicherlich können Nationen zusammenkommen, um dieses Leiden zu verringern.“
Rund 90 Prozent der Flüchtlinge kommen aus Ländern wie Syrien, Afghanistan und dem Irak. Mehr als 600.000 Menschen haben das Mittelmeer im Jahr 2015 durchquert. Zwei Drittel kommen auf dem Seeweg aus der Türkei zu einer der östlichen griechischen Inseln, setzen dann mit der Fähre nach Athen über und fahren mit dem Bus bis zur Grenze.
Idomeni ist ein kleines Dorf von 120 Seelen, das um 5.000 ständig wechselnde Gesichter jeden Tag anschwillt. Die meisten davon sind Syrer. „Warum denken Sie, bin ich gegangen?“, fragt Mohammed, ein junger Elektroingenieur aus Damaskus in seinen Zwanzigern, der perfekt Englisch spricht. Er steht in einer Warteschlange, um ein Caritas-Lebensmittelpaket zu erhalten. „Mein Studium ist abgeschlossen. Ich will nicht eingezogen werden. Ich will nicht im Krieg sterben“, sagt er.
Amin ist vor 17 Jahren vor Konflikten und Armut im Sudan geflohen. Er ging nach Syrien, wo er Sambra heiratete. Aber der Krieg holte ihn wieder ein. Sie flohen in die Türkei. Alle bis auf eines seiner vier Kinder wurden in Syrien geboren. Das Jüngste wurde vor gerade sieben Tagen auf der griechischen Insel Samos geboren. „Ich konnte nicht in der Türkei arbeiten. Krankenhäuser kosten Geld. So gingen wir fort“, sagte er.
Freiwillige für Caritas Griechenland (lokal Caritas Hellas genannt) geben den Flüchtlingen Nahrung und Wasser. „Es ist eine anstrengende Arbeit“, sagt Sous Issam, ein Freiwilliger für die Caritas in Thessaloniki. „Es gibt keine Pause. Der Menschenstrom hält konstant an. Aber wir tun, was wir können, um zu helfen.“
Die Flüchtlinge und Migranten halten so lange in Idomeni, bis sie die polizeiliche Erlaubnis zur Weiterreise über Mazedonien, nach Serbien, Kroatien und Slowenien bekommen, um dann ihren endgültigen Bestimmungsort in Deutschland, Belgien oder Schweden anzusteuern.
„Im September schliefen die Leute einfach auf den Bahngleisen. Es gab keine Zelte, keine medizinische Unterstützung, keine Toiletten, keine organisierte Hilfe“, erzählt Sous Issam. Die Caritas baute dort 40 Toiletten und fünf Duscheinheiten. „Jetzt ist es viel besser. Die Flüchtlinge kommen, erhalten etwas zu essen, Kleidung für die Kinder, finden einen Ort, um zur Toilette zu gehen und sich zu waschen sowie Informationen über ihre Weiterreise. Es ist gut organisiert“, sagt er. „Der Winter und das bevorstehende schlechte Wetter werden die nächste Herausforderung sein.“
Die Caritas hat für dieses Projekt nur einen hauptamtlichen Mitarbeiter. Alle anderen sind Freiwillige, abwechselnd, um Essen auszugeben, Kleiderspenden zu sortieren und hierher zu kommen, um den Tag oder Abend mit den Flüchtlingen zu verbringen. „Caritas ist Caritas wegen dieser einfachen Menschen, die etwas von sich selbst geben“, erklärte Kardinal Tagle.
Die Flüchtlinge kämen mit nichts als dem, was sie auf ihrem Rücken tragen können. „Ihr einziger Reichtum ist ihre Familie. Es ist für die Zukunft ihrer Familien, dass sie die gefährliche und harte Reise unternommen haben.“ Konflikte, Armut und Menschenschmuggel blieben nicht außen vor, sondern träfen die Familie in ihrem Kern. „Es ist die Unschuld der Familie, die wirklich zerstört wird.“ Nachdem er einen Vater und dessen Tochter zusammen im Lager beim Gebet gesehen hat, in einem Moment der „reinen, unberührten Liebe“, sagt Kardinal Tagle: „Wir hoffen, dass die ganze Welt sich für Frieden, Gleichheit und Menschlichkeit zum Wohle dieser Familien einsetzt.“ (mk)