Schon ins Land der Pyramiden
Flohn die Störche übers Meer;
Schwalbenflug ist längst geschieden,
Auch die Lerche singt nicht mehr.
Seufzend in geheimer Klage
Streift der Wind das letzte Grün;
Und die süßen Sommertage,
Ach, sie sind dahin, dahin!
Nebel hat den Wald verschlungen,
Der dein stillstes Glück gesehn;
Ganz in Duft und Dämmerungen
Will die schöne Welt vergehn.
Nur noch einmal bricht die Sonne
Unaufhaltsam durch den Duft,
Und ein Strahl der alten Wonne
Rieselt über Tal und Kluft.
Und es leuchten Wald und Heide,
Daß man sicher glauben mag,
Hinter allem Winterleide
Lieg’ ein ferner Frühlingstag.
Die Sense rauscht, die Ähre fällt,
Die Tiere räumen scheu das Feld,
Der Mensch begehrt die ganze Welt.
Und sind die Blumen abgeblüht,
So brecht der Äpfel goldne Bälle;
Hin ist die Zeit der Schwärmerei,
So schätzt nun endlich das Reelle!
*
Theodor Storm (1817-1888) gilt als ein bedeutender Vertreter des deutschen Realismus. Seine Lyrik wie auch seine Novellen und Prosa zeichnen sich durch die norddeutsche Prägung aus.
Theodor Storm wurde am 14. September 1817 in Husum geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums studierte er von 1837 bis 1842 zunächst in Kiel, dann in Berlin Rechtswissenschaften. 1839 kehrte er nach Kiel zurück, wo er u.a. Freundschaft mit Theodor Mommsen (1817-1903) schloss. 1843 nahm er seine Tätigkeit als Rechtsanwalt in der Kanzlei seines Vaters in seiner Heimatstadt auf; dann gründete er eine eigene Kanzlei, in der er bis 1852 tätig war. Die Jahre während der dänischen Besetzung Holsteins verbrachte Storm in Potsdam und Heiligenstadt und war im preußischen Staatsdienst angestellt. 1864 kehrte er in seine Heimat zurück. 1867 wurde er Amtsrichter, 1879 Amtsgerichtsrat.
Bereits in Jugendjahren verfasste Storm erste Gedichte, sein erstes Gedicht „An Emma“ im Jahr 1833. Zu seinen bekanntesten Werken zählen z.B. „Pole Poppenspäler“ und „Der Schimmelreiter“. Theodor Storm starb am 4. Juli 1888 in Hademarschen.