Die heutige Präsenz der Benediktiner in der italienischen Stadt Norcia ist paradoxerweise einzig und allein einem amerikanischen Mönch zu verdanken. So führte die Gesetzgebung Napoleons, aufgrund derer die Mönche im Jahre 1810 aus der Abtei vertrieben wurden, zu einer beinahe zwei Jahrhunderte währenden Unterbrechung des monastischen Lebens. Erst um das Jahr 2000 ergriffen die ersten der an dem kurzgeschorenen Haar, dem Bart und der dunklen Tunika erkennbaren Ordensmitglieder erneut Besitz von dem oberhalb des Geburtshauses des hl. Benedikts und seiner Schwester, der hl. Scholastika, errichteten Klosters.
Dies geschah auf Initiative des 1955 geborenen und ursprünglich aus Massachusetts stammenden Mönchs Dom Cassiano Folsom. Dieser begab sich nach seinem Eintritt in die Benediktinerabtei St. Meinrad im US-Bundesstaat Indiana im Jahre 1997 nach Rom, um das Amt des Vizerektors der Päpstlichen Hochschule „Sant’Anselmo“ anzutreten.
Bereits einige Jahre vor seiner Übersiedelung erhielt Dom Cassiano während einer Zugreise nach Neapel die Eingebung zur Schaffung einer Gemeinschaft mit dem Ziel einer Wiederbelebung des Charismas und des ursprünglichen Stils des Benediktinerordens.
Im Jahre 1998 erfolgte die Gründung in einem zur Kapelle umfunktionierten Raum einer Wohnung in der Hauptstadt, in der Dom Cassiano und drei Mitbrüder sich niederließen. Trotz einiger Schwierigkeiten erhielt die kleine Gemeinschaft im darauffolgenden Jahr die kanonische Zustimmung. Der Heilige Stuhl erteilte ihr somit die Erlaubnis zur Niederlassung im Kloster von Norcia.
Seither ist die benediktinische Gemeinschaft erneut ein besonderes Kennzeichen dieses reizvollen Ortes in der italienischen Region Umbrien. Sie erfuhr eine Ausbreitung und tritt anlässlich des liturgischen Gedenktags des hl. Benedikts vor allem in dieser Jahreszeit in eine besondere Beziehung mit der lokalen Bevölkerung und der großen Schar der Gläubigen und Touristen auf den Straßen Norcias ein.
Auf der Basis des von dem Schutzpatron Europas übernommenen Grundsatzes „ora et labora“ unterliegt der Tagesablauf einer genauen zeitlichen Einteilung und Arbeitsteilung. So läutet um 3.30 morgens der Wecker und vom 15. September bis Ostern wird nur eine Mahlzeit pro Tag eingenommen. Die Mönche zelebrieren auch in der außerordentlichen Form des römischen Ritus. Dieser findet Cassiano zufolge großen Anklang bei Katholiken, die „Gesten, Symbolen, der Intuition, der Stille und rituellen Handlungen ohne Worte – der Kommunikation in Form von Poesie“ im Rahmen der heiligen Messe die höchste Priorität beimessen.
Die Benediktinermönche von Norcia vollziehen nicht nur die mit dem Gebet verbundenen Handlungen, sondern auch die Arbeit mit großer Sorgfalt. Im Sommer des Jahres 2012 entstand die Idee, eine alte monastische Tradition wieder aufleben zu lassen: die Biererzeugung.
Das ursprünglich als Mittel zur Erhaltung des Klosters gedachte Bier „Birra Nursia“ (der lateinische Name von Norcia) ist heute ein fester Bestandteil des italienischen Marktes für aus Eigenerzeugung stammendes Bier. Ein Werbeprospekt bringt die Vorzüge des Produktes folgendermaßen zum Ausdruck: „Durch die auf 700 Flaschen limitierte Abfüllung gelingt es dem kleinen Produktionsteam der Mönche, Intensität, Farbe und Geschmack des Biers besser zur Geltung zu bringen“.
Aufgrund dieser Eigenschaften wird der Genuss des „Birra Nursia“ zu einem einzigartigen Erlebnis für Bierliebhaber. Die Frage, weshalb die monastische Tradition so eng mit der Produktion eines alkoholischen Getränkes verbunden ist, beantwortet Pater Benedikt, ein Mitglied der Mönchsgemeinschaft, folgendermaßen: „Auch darin ist eine christliche Botschaft enthalten: Man muss begreifen, dass die Art der Verwendung darüber entscheidet, ob eine Sache gut oder schlecht ist. Wie in anderen Erzeugnissen ist das Bier ein Ausdruck Gottes guter Schöpfung. Die Ursache der Trunkenheit ist ein im Konsumenten bestehendes Ungleichgewicht, da er die Gaben Gottes entartet.
Dieser Gedanke wurde von der Homepage des „Birra Nursia“ aufgegriffen. In Zusammenhang mit der vollkommenen Hingabe des Lebens an Gott ist dort folgendes zu lesen: „Die Mönche hatten schon in der Vergangenheit begriffen, dass diese Sichtweise des Lebens mit der Gesellschaft durch irdische Erfahrungen zu teilen ist, um so einer Abschirmung von der äußeren Welt vorzubeugen. Diese Vorstellung spiegelt sich in der Liturgie – durch Handlungen, die alle fünf Sinne einbeziehen wie den Gesang des gregorianischen Chorals, den Einsatz von Weihrauch und Glocken; im Studium durch den Versuch, die Grenzen des menschlichen Intellektes zu erweitern und in der Arbeit im Bestreben, die Früchte der Erde zu sammeln, um den Körper zu ernähren. In all diesen Einsatzbereichen heiligten die Mönche stets materielle Dinge, um sie zu hilfreichen Werkzeugen auf dem Weg zu Gott zu machen.“
Somit eignet sich der von den benediktinischen Bierbrauern für ihr Produkt gewählte Slogan „Ut laetificet cor“ (möge das Herz sich erfreuen) auch als Trinkspruch vor dem Anstoßen mit einem Glas „Birra Nursia“.
***
Über folgenden Link ist die Werbung für “Birra Nursia” abrufbar: https://www.youtube.com/watch?v=s74warG_YmA