ROM, 9. Dezember 2009 (ZENIT.org).- „Die Menschwerdung als zentrales Ereignis der gesamten Geschichte war von Ewigkeit her beabsichtigt, auch unabhängig von der Sünde des Menschen, damit die ganze Schöpfung Gott, den Vater, wie eine einzige, um Christus, den Sohn Gottes, gescharte Familie preisen und lieben könne“, so Rupert von Deutz, den Papst Benedikt XVI. heute in seiner Katechese vorstellte. „Er schreibt nach vielen Irrungen und Wirrungen, die er in seiner Zeit erleben musste, Seiten voll religiöser Inspiration, um das unendliche Erbarmen des Vaters, die Geduld und das Wohlwollen Gottes gegenüber dem sündigen Menschen zu preisen“.
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Rupert von Deutz (auch Rupertus Tuitensis; * um 1070; † 4. März 1129 in Deutz)
Liebe Brüder und Schwestern!
Heute lernen wir einen weiteren Benediktinermönch des 12. Jahrhunderts kennen. Sein Name ist Rupert von Deutz, einem heutigen Stadtteil von Köln, Sitz eines berühmten Klosters. Rupert spricht selbst von seinem Leben in einem seiner wichtigsten Werke mit dem Titel „Die Herrlichkeit und die Ehre des Menschensohnes“, das Teile des Matthäusevangeliums kommentiert. Bereits im Kindesalter wurde er als Oblate im Benediktinerkloster St. Laurentius in Lüttich aufgenommen, dem Brauch jener Zeit folgend, einen der Söhne der Erziehung durch Mönche anzuvertrauen und ihn zu einem Geschenk an Gott zu machen. Rupert liebte immer das Klosterleben. Bald erlernte er die lateinische Sprache, um die Bibel zu studieren und die liturgischen Feiern verkosten zu können. Er zeichnete sich durch seine äußerst integre moralische Geradlinigkeit sowie durch seine starke Verbundenheit mit dem Sitz des heiligen Petrus aus.
Sein Zeitalter war von Konflikten zwischen dem Papsttum und dem Kaiserreich geprägt, dies aufgrund des so genannten Investiturstreites, mit dem – wie ich in anderen Katechesen angedeutet habe – das Papsttum verhindern wollte, dass die Ernennung von Bischöfen und die Ausübung ihrer Jurisdiktion von den zivilen Obrigkeiten abhinge. Diese waren ja zumeist von politischen und wirtschaftlichen und gewiss keinen pastoralen Absichten geleitet. Der Bischof von Lüttich Otbert widersetzte sich den Anordnungen des Papstes und verbannte den Abt des Klosters St. Laurentius gerade wegen dessen Treue zum Papst. In jenem Kloster lebte Rupert, der nicht zögerte, seinem Abt in die Verbannung zu folgen.
Nur als Otbert wieder in Gemeinschaft mit dem Papst trat, kehrte er nach Lüttich zurück und willigte ein, Priester zu werden. Bis zu jenem Moment nämlich hatte er es vermieden, die Weihe von einem Bischof zu empfangen, der gegen den Willen des Papstes handelte. Rupert lehrt uns, dass – wenn es in der Kirche zu Streitigkeiten kommt – der Bezug zum Petrusamt die Treue zur gesunden Lehre gewährleistet und Ruhe und innere Freiheit schenkt.
Nach der Auseinandersetzung mit Otbert war er zwei weitere Male gezwungen, sein Kloster zu verlassen. 1116 wollten ihn seine Gegner sogar vor Gericht stellen. Obwohl er von jeder Anklage freigesprochen wurde, zog es Rupert vor, sich für eine gewisse Zeit nach Siegburg zu begeben. Aber die Polemiken waren noch nicht beendet, als er in das Kloster von Lüttich zurückkehrte, so beschloss er, sich endgültig in Deutschland niederzulassen. Nach seiner Ernennung zum Abt von Deutz im Jahr 1120 blieb er dort bis 1129, dem Jahr seines Todes. Er verließ Deutz nur für eine Pilgerreise nach Rom im Jahr 1124.
Rupert ist ein fruchtbarer Schriftsteller gewesen und hat zahlreiche Werke hinterlassen, die noch heute von großem Interesse sind, dies auch deshalb, weil er bei verschiedenen und wichtigen theologischen Disputen der Zeit mitwirkte. Zum Beispiel griff er entschlossen in die Auseinandersetzung um die Eucharistie ein, die 1077 zur Verurteilung von Berengar von Tours geführt hatte. Dieser hatte eine verkürzte Interpretation der Gegenwart Christi im Sakrament der Eucharistie vorgelegt und sie als nur symbolisch definiert. Der Begriff der „Transsubstantiation“ hatte noch keinen Eingang in die Sprache der Kirche gefunden, doch Rupert wurde unter Anwendung von bisweilen kühnen Ausdrucksformen zu einem entschiedenen Verfechter des eucharistischen Realismus, und er bekräftigte vor allem in einem Werk mit dem Titel „De divinis officiis“ (Die Gottesdienste) mit großem Nachdruck die Kontinuität zwischen der Leibgestalt, des in Christus fleischgewordenen Wortes, und dem Leib, der in den eucharistischen Gestalten des Brotes und des Weines gegenwärtig ist.
Liebe Brüder und Schwestern, mir scheint, dass wir an diesem Punkt auch an unsere Zeit denken müssen; auch heute besteht die Gefahr einer Verkürzung der eucharistischen Realpräsenz. Das geschieht, wenn die Eucharistie gleichsam nur als ein Ritus der Gemeinschaft, des gesellschaftlichen Miteinanders zu betrachten und dabei zu leicht zu vergessen, dass in der Eucharistie wirklich der auferstandene Christus – mit seinem auferstandenen Leib – gegenwärtig ist. Er, der sich in unsere Hände begibt, um uns von uns selbst weg in seinen unsterblichen Leib einzuverleiben und uns so zum neuen Leben zu führen.
Dieses große Geheimnis, dass der Herr in all seiner Wirklichkeit in den eucharistischen Gestalten gegenwärtig ist, ist ein Geheimnis, das immer neu anzubeten und zu lieben ist! Ich möchte hierzu die Worte des Katechismus der Katholischen Kirche zitieren, die das Ergebnis der Betrachtung des Glaubens und der theologischen Reflexion von zwei Jahrtausenden in sich tragen: „Die Weise der Gegenwart Christi unter den eucharistischen Gestalten ist einzigartig… Im heiligsten Sakrament der Eucharistie ist wahrhaft, wirklich und substanzhaft der Leib und das Blut zusammen mit der Seele und Gottheit unseres Herrn Jesus Christus und daher der ganze Christus enthalten. Diese Gegenwart wird nicht ausschlussweise ‚wirklich‘ genannt, als ob die anderen nicht ‚wirklich‘ seien, sondern vorzugsweise, weil sie substantiell ist; in ihr wird nämlich der ganze und unversehrte Christus, Gott und Mensch, gegenwärtig“ (KKK, Nr. 1374). Auch Rupert hat mit seinen Überlegungen zu dieser präzisen Formulierung beigetragen.
Eine weitere Auseinandersetzung, mit der der Abt von Deutz zu tun hatte, betrifft das Problem der Vereinbarkeit der Güte und Allmacht Gottes mit der Existenz des Bösen. Wenn Gott allmächtig und gut ist – wie ist dann die Wirklichkeit des Bösen zu erklären? Rupert reagierte nämlich auf die von den Lehrern der theologischen Schule von Laon eingenommene Position, die über eine Reihe von philosophischen Gedankengängen hinweg im Willen Gottes das „Billigen“ und das „Zulassen“ unterschieden und zum Schluss kamen, dass Gott das Böse zulässt, ohne es zu billigen und ohne es somit zu wollen. Rupert hingegen verzichtet auf den Gebrauch der Philosophie, die er angesichts eines derart großen Problems für ungenügend hält, und bleibt einfach der biblischen Erzählung treu. Er geht von der Güte Gottes aus, von der Wahrheit, dass Gott in höchstem Maße gut ist und allein das Gute wollen kann. So macht er den Ursprung des Bösen im Menschen und im falschen Gebrauch der menschlichen Freiheit aus. Als Rupert dieses Problem angeht, schreibt er Seiten voll religiöser Inspiration, um das unendliche Erbarmen des Vaters, die Geduld und das Wohlwollen Gottes gegenüber dem sündigen Menschen zu preisen.
Wie andere Theologen des Mittelalters fragte sich auch Rupert: Warum ist das Wort Gottes, der Sohn Gottes, Mensch geworden? Für einige ist die Antwort darauf: Die Dringlichkeit, die Sünde des Menschen wiedergutzumachen, führte zur Menschwerdung des Wortes.
Rupert hingegen erweitert die Perspektive mit einer christozentrischen Sicht der Heilsgeschichte, und in einem seiner Werke mit dem Titel „Die Verherrlichung der Dreifaltigkeit“ vertritt er die Position, dass die Menschwerdung als zentrales Ereignis der gesamten Geschichte von Ewigkeit her beabsichtigt war, auch unabhängig von der Sünde des Menschen, damit die ganze Schöpfung Gott, den Vater, wie eine einzige, um Christus, den Sohn Gottes, gescharte Familie preisen und lieben könne.
So sieht er in der schwangeren Frau der Apokalypse die gesamte Geschichte der Menschheit, die auf Christus ausgerichtet ist, so wie die Empfängnis auf die Geburt ausgerichtet ist, eine Perspektive, die von anderen Denkern entfaltet werden wird und auch in der zeitgenössischen Theologie Wertschätzung erlangt hat, welche behauptet, dass die ganze Geschichte der Welt und der Menschheit eine Empfängnis sind, die auf die Geburt Christi ausgerichtet ist.
Christus steht immer im Mittelpunkt der exegetischen Erklärungen, die Rupert in seinen Kommentaren zu den Büchern der Bibel bietet, denen der sich mit großer Sorgfalt und Leidenschaft widmete. So findet er eine wunderbare Einheit in allen Ereignissen der Heilsgeschichte, von der Schöpfung bis hin zum Ende der Zeiten: „Die ganze Schrift“, so sagt er, „ist ein einziges Buch, das demselben Ziel entgegenstrebt (dem göttlichen Wort); das von dem einen Gott stammt und das von dem einen Geist geschrieben worden ist“ (De glorificatione Trinitatis et processione Sancti Spiritus I,V, PL 169, 18).
Bei der Auslegung der Bibel beschränkt sich Rupert nicht darauf, die Lehre der Väter zu wiederholen, sondern lässt eine eigene Originalität zutage treten. Er ist zum Beispiel der erste Schriftsteller, der die Braut im Hohenlied mit der allerseligsten Maria identifiziert hat. So offenbart sich sein Kommentar zu diesem Buch der Schrift, als eine Art „mariologische Zusammenschau“, in der die Privilegien und die herausragenden Tugenden Mariens vorgestellt werden. In einem der meist inspirierten Abschnitte seines Kommentars schreibt Rupert: „O Geliebteste unter den Geliebten, Jungfrau der Jungfrauen, was preist in dir deinen geliebten Sohn, den alle Chöre der Engel erhöhen? Es werden die Einfachheit, die Reinheit, die Unschuld, die Lehre, die Bescheidenheit, die Demut, die Unversehrtheit des Geistes und des Fleisches gepriesen, das heißt: die unversehrte Jungfräulichkeit“ (In Canticum Canticorum 4,1-6, CCL 26, pp. 69-70). Ruperts marianische Auslegung des Hohenliedes ist ein glückliches Beispiel für den Einklang zwischen Liturgie und Theologie. Verschiedene Abschnitte dieses biblischen Buches waren bereits in den liturgischen Feiern der Marienfeste gebraucht worden.
Rupert bemüht sich aber darum, seine mariologischen Ausführungen in die ekklesiologische Lehre zu integrieren. Mit anderen Worten: Für ihn ist die allerseligste Maria der heiligste Teil der gesamten Kirche. Aus diesem Grund zitierte mein verehrter Vorgänger Papst Paul VI. in seiner Ansprache zum Abschluss der dritten Sitzungsperiode des II. Vatikanischen Konzils, in der er Maria feierlich zu Mutter der Kirche erklärte, einen den Werken Ruperts entnommenen Satz, der Maria als portio maxima, portio optima definiert – den höchsten Teil, den besten Teil der Kirche (vgl. In Apocalypsem 1.7, PL 169,1043).
Liebe Freunde, diese kurzen Hinweise lassen uns gewahr werden, dass Rupert ein leidenschaftlicher Theologe gewesen ist, dem große Tiefe beschieden war. Wie alle Vertreter der monastischen Theologie hat er es verstanden, das rationale Studium der Glaubensgeheimnisse mit dem Gebet und der Kontemplation zu verbinden, die als Gipfel jeder Erkenntnis Gottes gesehen wurde. Er selbst spricht auch zuweilen von seinen mystischen Erfahrungen: Als er die unaussprechliche Freude darüber bekennt, die Gegenwart des Herrn wahrgenommen zu haben:„In jenem kurzen Augenblick – so sagt er – habe ich erfahren, wie wahr es ist, was er selbst sagt: Lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig“ (De gloria et honore Filii hominis. Super Matthaeum 12, PL 168, 1601). Auch wir können – jeder auf seine Weise – Jesus, dem Herrn, begegnen, der unseren Weg unaufhörlich begleitet, der im eucharistischen Brot und in seinem Wort gegenwärtig wird zu unserem Heil.
[Für die deutsche Zusammenfassung der Katechese bediente sich der Heilige Vater des folgenden Manuskriptes:]
Liebe Brüder und Schwestern!
Heute wollen wir uns einem weiteren bedeutenden Vertreter der monastischen Theologie zuwenden. Sein Name ist Rupert von Deutz. Er wurde um 1075 bei Lüttich geboren und schon als Kind dem dortigen Benediktinerkloster Sankt Laurentius in Obhut gegeben. Als junger Mönch geriet er aufgrund seiner Treue zum Papst in die politischen und theologischen Auseinandersetzungen seiner Zeit und musste mehrmals sein Kloster verlassen. Im Jahre 1120 wurde Rupert zum Abt des Klosters in Deutz am Rhein gegenüber von Köln ernannt, und dort ist er auch 1129 gestorben. Rupert war ein ungemein produktiver Denker, der uns eine Fülle von Schriften zu verschiedenen theologischen Fragen – z.B. zur Realpräsenz in der Eucharistie und zur Prädestinationslehre – hinterlassen hat. Eine Neuheit seines theologischen Schaffens bestand darin, dass er die Schriftauslegung unter einen thematischen Schwerpunkt stellte. So entwickelte er aus seinem Mathäuskommentar eine Christologie und aus dem Kommentar zum Hohenlied eine Mariologie. Dabei verfolgte er das Ziel, einzelne Themen des Glaubens aus dem Gesamt der Offenbarung heraus, wie sie in der Heiligen Schrift aufscheint, zu betrachten. Die Menschwerdung Christi ist das grundlegende Ereignis der ganzen Geschichte. Sie ist nicht durch den Sündenfall des Menschen bedingt, so sagt Rupert, sondern von Ewigkeit vorgesehen, damit die ganze Schöpfung Gott loben und wie eine große Familie um Christus lieben könne. Christus ist die Mitte der Heilsgeschichte, und in ihm finden alle Ereignisse einen wunderbaren Zusammenhang.
[Die deutschsprachigen Pilger begrüßte der Papst mit folgenden Worten:]
Ganz herzlich grüße ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher. Wir alle dürfen Christus begegnen, der beständig auf unserem Lebensweg mit uns geht und sich in der Eucharistie und im Wort Gottes gegenwärtig macht. Diese Nähe des Herrn wollen wir gerade in der Vorbereitung auf Weihnachten vermehrt suchen. Gottes Geist stärke euch allezeit.
[ZENIT-Übersetzung des italienischen Originals; © Copyright 2009 – Libreria Editrice Vaticana]